Über den Künstler
Kurzporträt:
1944 – 2016
Burkhart Seidemann war Kunstschmied, Theologe, vor allem aber Pantomime und Regisseur, zunächst in Jena, dann am Deutschen Theater Berlin, später am von ihm gegründeten und geleiteten Hackeschen Hof-Theater Berlin.
Ausbildung/Werdegang:
1944 geboren in Weimar
ab 1965 Theologiestudium in Jena, parallel im Pantomime-Studio von Harald Seime.
1970 Vikar bei der Ev. Luth. Kirche Thüringens, gleichzeitig eigene Pantomimengruppe in Weimar.
1972 nach dem 2. theologischen Examen Umzug nach Berlin Ost, dort freiberuflich als Marionettenbauer, Pantomime und Werbegrafiker, Mitglied der Pantomimenbühne Berlin von Volkmar Otte.
1974 Gründungsmitglied des Pantomimen- Ensembles am Deutschen Theater, Berlin.
Dort bis 1991 als Darsteller, Autor, Regisseur. Gleichzeitig auch Pantomime-Dozent an der Schauspielschule „Ernst Busch“. Nach Auflösung des DT-Pantomimen-Ensembles Gründung von DAT.Berlin („Das Andere Theater“, als einer freien Künstler-Vereinigung)
1993 Gründung des Hackeschen Hof-Theaters, dessen künstlerischer Leiter bis 2006.
Seit dessen Schließung freiberuflich.
Einflüsse/Lehrer*innen
Harald Seime, Marcel Marceau, Volkmar Otte, Eva-Maria Otte, Henryk Tomaszewski
Eigenes Werk
1991 Gründung es Ensembles DAT Berlin/ Das Andere Theater
1993-2006 Gründung und künstlerischer Leiter des Hackeschen Hof-Theaters
1975 „Zwischen Tür und Angel“ (Regie: Otte/Baumgart)
1976 „Don Quichote in Murzeledo“, Hauptrolle, (Otte/Seidemann)
1977 „Von Kalaf und Prinzessin Turandot“ (Otte/Seidemann)
1980 „Die fremde Haut“ (Otte/Seidemann)
1981 „Blaubart“ (Seidemann)
1982 „Die Höllenfahrt des Doktor Faust“ (Seidemann/Baumgart)
1985 „Orfeus“ (Seidemann)
1987 „Hanswurst oder von der Notdurft des Lachens“ (Seidemann) 1987 „Berliner Ballonfieber“ (Seidemann)
1990 „Happy End Station“ (Seidemann)
1992 „Mozart – Stimmen aus Papier“
1993 „!MARIEWOYZECK“
1994 „ReinekIN Fuchs“
2009 „Faust- Vignetten“ mit den Studenten der Etage Berli
Inszenierungen (als Darsteller)
1979 „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann“ (Otte) 1979 „Clownerien“ (Spielkollektiv)
1982 „Die Verwandlung“ (Hahnke)
1984 „Verrücktwärts“ (Baumgart)
1985 „Ich bin (k)ein Clown“ (Posselt)
1986 „Café Fatal“ (Posselt)
1988 „Röteln im Plänterwald“ (Baumgart)
1988 „Mit und ohne Nase“ (Hahnke)
1988 „Rotkäppchen packt aus“ (Posselt/Hahnke) 1988 „Himmelhölle“ (Richter)
1990 „Egotrips“ (Baumgart)
Film
2006 Das Bonobo-Prinzip (AT, Kino)
Drama
2003 Luther (Kino)
Morality Play Director
1992 Der Besucher (Kino)
Pantomime
1986 The House on the River | Das Haus am Fluss (Kino)
1984 Bärchen sucht den Weihnachtsmann (TV Movie)
Links
Ausführlicher Werdgang:
Geboren 1944 in Weimar als Sohn einer einst adeligen Mutter (die dann dennoch ganz bewusst bürgerlich heiratete) und eines im Krieg verschollenen Vaters, wusste Burkhart Seidemann schon außergewöhnlich früh um seine Berufung: Künstler.
Wie genau das aber aussehen sollte, kristallisierte sich erst nach und nach im Laufe seines bewegten, bunten Lebens heraus. Getreu dem Motto: „Der Weg ist das Ziel.“ Und auf kaum jemanden ist diese Weisheit so zutreffend wie auf Seidemann.
Er befasste sich schon zu Schulzeiten mit den Gegenständen der Ästhetik, Kunst und des Ausdrucks in allen Formen, schrieb Gedichte, sammelte Bücher, kurz: Er war außergewöhnlich und passte nirgendwo so richtig rein; legte es auch überhaupt nicht darauf an.
Nach seinem Abitur begann er eine Ausbildung als Kunstschmied bei dem berühmten Künstler und Professor Günther Laufer, doch stellte nach einem Jahr fest, dies war nicht die Erfüllung für ihn. Aus Ablehnung gegenüber allen gesellschaftlichen Normen und Ausbildungszwängen und nicht aus religiöser Überzeugung, schlug er einen neuen, ganz anderen Weg ein: Theologie. Während seiner Zeit, in der er sich der Theologie zuwandte, entdeckte er eine Leidenschaft. Die Rede ist von der Kunst der Pantomime. Es begeisterte ihn so sehr, dass er parallel zum Theologiestudium in Jena sogar eine Pantomime-Ausbildung bei dem Bewegungskünstler Harald Seime absolvierte.
Danach zog es ihn 1972 nach Ostberlin, wo er sich der Pantomime-Gruppe um Volkmar Otte anschloss. Schnell mauserte sich Seidemann zum Mitautor von Ottes Stücken und übernahm nach dessen Ausstieg sogar seine Rolle als Hauptregisseur und Autor von Stücken wie „Blaubart“ und „Dr. Fausts Höllenfahrt“.
Mit der Pantomime hatte er nicht nur seine persönliche Leidenschaft gefunden, sondern gleichzeitig eine Nische in der Gesellschaft und deren Interesse. Während Seidemann sich mit gesprochenen, großen Worten immer schwertat, setzte die Kunst der Pantomime dort an, wo seine eigene Schüchternheit, vielleicht sogar beinahe Verschlossenheit, nicht mehr weiterkonnte. Wo ausgesprochene Worte zu laut und hart erschienen, kamen die Bewegungen zum Einsatz, die es ihm so viel leichter und selbstverständlicher machten, sich auszudrücken und künstlerisch mitzuteilen. Er wusste, hier war er richtig.
In einem Interview sagt er einmal: „Pantomime ist die erste Sprache, die wir gelernt haben. Wir leben ja in einer Gefühls-verängstigten Welt. Wir geben keine Gefühle preis. Das Wertvollste, was Theater überhaupt bieten kann, ist, dass es Gefühle wieder anschaubar macht, zulässt. Pantomime ist Musik für die Augen.“
Nach über 20 Jahren, Mauerfall und Wende stand Internationalisierung der inzwischen sehr erfolgreichen Truppe wie ihres Publikums an. Aber statt dass nun die besten Pantomimen der Welt ins Ensemble kamen und Berlin seinen Bürgern und Besuchern dieses Sprachbarrieren-freie Theaterkleinod, wie es Paris, London oder New York nicht haben, mit Stolz präsentierte, schlug provinzieller Hochkultur-Dünkel zu: Mit der Zustimmung des (Ost-)Intendanten Thomas Langhoff betrieb die neue (West-)Kulturpolitik die Schließung des DT-Pantomime-Ensembles.
Die Alternative war die Gründung und 1993 Eröffnung eines Kleintheaters unter „Admiral-Intendant“ Seidemann in den Hackeschen Höfen, die zunächst noch fernab von Rekonstruktion und Kommerzialisierung vergessen vor sich hin schlummerten. Zum „Ur“-Genre des Mimischen und Mimodramen wie „Reineke Fuchs“ kam als Reverenz an die Scheunenviertel-Umgebung das „Jiddische“ – und damit die Konzertreihe mit Klezmer und jiddischen Liedern, aber auch entsprechende, meist musikalische Theaterstücke.
Seidemann mit seiner Neigung zur Genauigkeit vermied den sicher leichter vermarktbaren Stempel „Jüdisches Theater“: Nicht um allgemein-Jüdisches oder gar Holocaust-Bewältigungs-Kunst ging es ihm, sondern eben um den konkreten Bezug auf die jiddischsprachig-ostjüdischen, meist armen Nachbarn vor 1933, so wie er an der gewissen Umständlichkeit des „Mimisch-Gestischen Theaters“ – statt einfach nur „Pantomime“ – festhielt, um stilistische Breite zu signalisieren. Inzwischen bot das Haus auch Schau- und Puppenspiel, Hörtheater und sonntags Frühstückstheater für Familien. Nebenher baute Seidemann ein eher kommerzielles Arbeitsprogramm für „seine“ Künstler auf, sie spielten als DAT, Old Comedies oder Weiß-Mimen bei Firmen-Festen und Eröffnungen. Trotz vieler auch finanzieller Unterstützer und vieler ehrenamtlicher Arbeit nicht zuletzt Seidemanns war das selten subventionierte „Hackesche Hof-Theater“ ein wirtschaftlich fragiles Gebilde. Nach 13 Jahren brachten Mieterhöhung, fehlende (lächerliche) 50.000 €, Ignoranz der Kulturpolitik, aber auch eine gewisse Entkräftung seines Chefs, der Tag für Tag das Schiff mit Büroarbeit über Wasser hielt, das Aus.
In den Künstlerkreisen treffen Künstler*innen auf Gleichgesinnte, Freigeister, Rebellen, Menschen, die sich gegen die Normen der Gesellschaft auflehnen, weil sie sich zu etwas ganz anderem berufen fühlen, als es erwartet oder sogar erzwungen wird. Sich in diesen Kreisen zu bewegen, erfordert Mut. Denn es braucht den Mut, man selbst zu sein, echt, verletzlich, um seine Kunst wirklich leben zu können. Und so war dies für Burkhard eines Tages ein Segen: traf er auf den Puppenspieler Peter Waschinsky. Ganz offen ging dieser schon damals mit seiner Homosexualität um und konfrontierte Burkhart ebenso offen damit. Dies führte dazu, dass auch er den Mut fand, sich dazu zu bekennen und von diesem Wendepunkt an sogar bis zu seinem Tod eine Beziehung mit Waschinsky zu führen.
Burkhard Seidemann war Künstler durch und durch, wortwörtlich, mit Leib und Seele. Sein Körper diente durch die Pantomime seinem künstlerischen Ausdruck, mit seinen geschriebenen Worten fügte sich ein weiterer Faktor hinzu. Doch – und das gerät an den meisten Stellen leider in Vergessenheit bzw. bekommt nicht die verdiente Beachtung – er war auch ein Künstler, der sich durch seine gemalten Werke ausdrückte. Viel Informationsmaterial aus diesem Bereich seines künstlerischen Schaffens gibt es nicht, was schade ist, denn er hat unglaublich viel mit Pinselstrichen und Bleistiftzeichnungen zu Papier gebracht.
Durch seine Bilder zieht sich stringent das Thema „Körper, Sexualität, Leiden und Schmerz“, Körperteile wie Hände und Füße werden besonders betont, was eine direkte Verbindung zu seinem Schaffen als Pantomime zeigt. Wenige bunte Farben beherrschen seine Malereien, man erkennt zwischen den Strichen immer wieder seine innere Unruhe.
Wir sind in den Genuss gekommen, nun eine große Auswahl seiner Malereien und Zeichnungen erworben zu haben.
Kunst ist vieles: zum einen Ausdruck des Erschaffenden, aus einem inneren Drang heraus. Aber auch Anerkennung, Bewunderungen von außen, sodass die Werke selbst nach dem Ableben des Künstlers weiter existieren, den Betrachter zum Nachdenken anregen und inspirieren können.
Deshalb möchten wir auf diesem Wege eine Möglichkeit schaffen, viele weitere Menschen, egal ob Kunstkenner*innen oder einfach Menschen, mit Liebe zu Ästhetik, mit der Kunst, die er uns hinterlassen hat, zu erreichen und zu begeistern.
Über 100 noch nie in der Öffentlichkeit gezeigten Kunstwerke…